Artförderungsprojekt "Lachmöwe"

Europaweit wird in den letzten 10 bis 20 Jahren vor allem im Binnenland aber auch an einigen Meeresküsten ein Bestandsrückgang der Lachmöwe festgestellt. In der Schweiz hat der Brutbestand in diesem Zeitraum um 75 % (von 3495 Brutpaaren im Jahr 1984 auf 859 Brutpaare im Jahr 2003) abgenommen. In diversen traditionellen Kolonien der Schweiz ist der Bruterfolg sehr gering. Im Neeracherried ZH beispielsweise brachten die 50 bis 70 Brutpaare zwischen 2000 und 2002 kaum Junge auf. Verschiedentlich wurde in Brutkolonien in der Schweiz eine hohe Nestlingssterblichkeit festgestellt. Sie erfolgt meist abrupt, doch ohne erkennbare Ursache. Oftmals sind keine Kadaver zu finden.

 
Die Lachmöwenkolonien in ursprünglichen Riedbiotopen - im Bild das Kaltbrunner Riet - sind in den letzten Jahrzehnten wesentlich kleiner geworden.   Versuchsweise angebrachte künstliche Nisthilfen wurden im Kaltbrunner Riet von den Lachmöwen gut angenommen. Am 3.5.06 besetzte auch ein Schwarzkopfmöwenpaar eine solche Nistgelegenheit.

Ziele

Im Rahmen des Programms "Artenförderung Vögel Schweiz" wollen die Schweizerische Vogelwarte Sempach und der Schweizer Vogelschutz SVS - BirdLife Schweiz in diesem Projekt den Ursachen für den geringen Bruterfolg und für die hohe Nestlingssterblichkeit auf den Grund gehen.

Vorgehen

Während der Brutsaison 2003 wurde ein Pilotprojekt durchgeführt. Vier Brutkolonien wurden täglich kontrolliert. Mit einer Non-Stop-Videoüberwachung (digitale Videokamera mit Infrarot-Scheinwerfer) wurden zudem in zwei Brutkolonien (Kaltbrunner Riet SG und Neeracherried ZH) Nester überwacht, um abzuklären, ob Prädation von Eiern und/oder Nestlingen als Ursache für den geringen Bruterfolg eine Rolle spielt. Vermessung von Nestlingen aus dem Kaltbrunner Riet bzw. aus Rapperswil SG sollten uns erste Hinweise darauf geben, ob mangelnde Nahrungsqualität und -menge den Tod von Jungvögeln herbeiführen. Während der Brutsaison 2004 wurden diese Untersuchungen weitergeführt und ausgebaut. Es wurden mehr Jungvögel vermessen als im Vorjahr. Um die Frage nach dem Ernährungszustand der Nestlinge besser beantworten zu können, wurde den Fanglingen geringe Mengen Blut entnommen und im Vogelwarte-Labor nachfolgend einige Blutwerte gemessen. Im Kaltbrunner Riet wurde die Videoüberwachung während der Brutsaison 2005 weitergeführt. Den Lachmöwen wurde dort 2005 erstmals eine Anzahl kleiner, künstlicher Brutplattformen angeboten, auf welchen das Brutgeschehen besser überwacht werden kann. Mit diesem Anreiz soll zudem versucht werden, die Kolonie wieder zu vergrößern. Im Weiteren wird ab 2006 mit einer zusätzlichen, über das Internet ansteuerbaren, Videokamera das Brutgeschehen auf der Kiesinsel vor Rapperswil genauer überwacht werden.

Bedeutung des Projekts

Sobald bekannt ist, weshalb der Bruterfolg der Lachmöwe in letzter Zeit so tief ausfällt und/oder weshalb Nestlinge verschwinden oder eingehen, kann der Art mit gezielten Maßnahmen dabei geholfen werden, den ehemaligen Brutbestand wieder aufzubauen. Damit würde ein zentrales Ziel eines Artförderungsprojektes erfüllt. Sollten der Jungensterblichkeit toxikologische Ursachen zugrunde liegen, könnte mit der Aufdeckung der verursachenden Substanz vielleicht eine letztlich wohl auch für Menschen bedeutsame Gefahrenquelle eliminiert werden. Die im Rahmen des Projektes während der zweiten Phase eingesetzten und optimierten praktischen Förderungsmaßnahmen (z.B. künstliche Brutinseln, Schutz der Jungvögel vor Prädatoren) kämen auch anderen gefährdeten Arten zugute.

Erste Ergebnisse des Projektes

Bestandsentwicklung

Nach einer mehr oder weniger kontinuierlichen Bestandsabnahme während den letzten 20 Jahren hat sich der Brutbestand der Lachmöwe in der Schweiz in den beiden letzten Jahren auf tiefem Niveau stabilisiert. Der Bruterfolg ist jedoch in vielen Brutkolonien mit teilweise deutlich unter 0,5 Jungvögeln pro Brutpaar immer noch tief.

Verluste von Eiern und Jungvögeln

Während der Brutsaison 2003 ergaben die Videoaufnahmen keinen Hinweis auf erfolgreiche Prädation durch Säuger (z.B. Rotfuchs und Steinmarder) oder Greifvögel (z.B. Schwarzmilan und Rohrweihe). Mit unseren Direktbeobachtungen vor Ort konnten wir trotz regelmäßig anwesender möglicher Beutegreifer ebenfalls nie feststellen, dass Eier oder Jungvögel erbeutet wurden. Den adulten Lachmöwen gelang es jeweils die Eindringlinge erfolgreich zu vertreiben. Trotzdem verschwanden in den untersuchten Kolonien Eier und Jungvögel. Während der Brutsaison 2004 konnte dann mit den Videoaufnahmen erstmals einwandfrei nachgewiesen werden, dass sowohl die Brutkolonie im Kaltbrunner Riet als auch diejenige im Neeracherried nachts von einem Uhu aufgesucht wurde. Diese beiden Uhus erbeuteten in jeder Brutkolonie mehrere Jungvögel. In Rapperswil wurden 2004 auch Schwarzmilane dabei beobachtet, wie sie Jungvögel erbeuteten. Eier wurden dieses Jahr im Neeracherried von einem Blässhuhn und in Rapperswil von Rabenkrähen erbeutet. Im Neeracherried und auf der Kiesinsel in Rapperswil wurde zudem beobachtet, wie mehrmals kleine Jungmöwen von fremden Altvögeln zu Tode gehackt wurden. In den meisten Brutkolonien fanden wir in beiden Jahren regelmäßig tote Jungvögel. Diese Verluste betrafen v.a. kleinere Jungvögel. Die Kadaver waren aber entweder nicht zugänglich oder waren für bakterielle Analysen nicht geeignet, sodass die Todesursachen vorerst nicht bekannt sind.

Verluste durch ungenügende Menge und/oder Qualität der Nahrung

Die aus der Brutsaison 2003 und 2004 vorliegenden Messwerte lassen zumindest die Vermutung zu, dass die Jungen aus den Seekolonien mit ihren nahegelegenen nahrungsreichen Flachwasserzonen eher besser wachsen, als diejenigen aus dem isoliert im Kulturland liegenden Kaltbrunner Riet. Die Anzahl Messungen war aber für eine statistische Absicherung dieser Aussage nicht ausreichend. Die Blutwertanalysen von Jungvögeln ergaben keine klaren Hinweise auf Mangelernährung. Die Messwerte deuteten höchstens darauf hin, dass die Jungvögel in den verschiedenen Kolonien mit unterschiedlicher Nahrung aufgezogen werden.

Verluste durch Witterungseinflüsse

Witterungsbedingt starben im Jahrtausendsommer 2003 nur wenige Nestlinge und wenn, dann wegen zu hohen Temperaturen. Während der Brutzeit 2004 fielen in Rapperswil dagegen Anfangs Juni ein Viertel bis ein Drittel der Nester dem Hochwasser zum Opfer. In der Brutzeit 2005 kamen im Kaltbrunner Riet viele kleine Jungvögel während einer Periode mit starken Regenfällen um.

Publikationen

Spiess, M. & U. Rehsteiner (2003): Artenförderungsprojekt Lachmöwe – Bericht zur Pilot-Feldsaison 2003. Interner Bericht. Schweizerische Vogelwarte und Schweizer Vogelschutz SVS – BirdLife Schweiz, Sempach und Zürich.